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Die Arbeitsunfähigkeit kann in Frage gestellt werden

02.12.2024 - Bescheinigt eine Ärztin oder Arzt die Arbeitsunfähigkeit, hat das einen hohen Beweiswert. Dieser kann laut Bundesarbeitsgericht trotzdem „erschüttert“ werden.

Lesedauer: 4 Minuten

Jeder weiß, was der hellgelbe Zettel bedeutet: Arbeitsunfähigkeit. Wer krank oder verletzt ist und seiner Arbeit deshalb fernbleiben muss, braucht eine AU-Bescheinigung als Nachweis seiner Krankheit oder Verletzung. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wird von Ärztin oder Arzt ausgestellt und enthält, neben dem Namen des Patienten, auch die Diagnose und die ärztlich beschiedene Dauer der Arbeitsunfähigkeit.

AU-Bescheinigung genießt hohes Vertrauen

Im Volksmund gerne Attest genannt – obwohl nicht deckungsgleich – genießt die AU-Bescheinigung großes gesellschaftliches Vertrauen. Arbeitgeber verlangen AU-Bescheinigungen in der Regel ab dem dritten Tag der krankheitsbedingen Abwesenheit, wobei dies jeder Betrieb individuell festlegen darf.

Dieses große Vertrauen kann, urteilt das Bundesarbeitsgericht (BAG), allerdings zumindest teilweise „erschüttert“ werden. Das Urteil fiel in einem Fall, in dem ein Mitarbeiter just bis zum Ende seiner Kündigungsfrist krankgeschrieben wurde und schon einen Tag danach kerngesund eine neue Stelle antrat.

So kam es zur „Erschütterung“ der AU-Bescheinigung

Der Fall ist ein wenig komplex, da sich die Ereignisse zeitlich überschneiden. Wir fassen jedoch möglichst sinnvoll zusammen:

  1. Ein Arbeitgeber kündigte seinem Mitarbeiter Anfang Mai 2022 zum Monatsende.
  2. Die Kündigung erreichte den Arbeitnehmer am 03. Mai 2022.
  3. Zu diesem Zeitpunkt war der Arbeitnehmer bereits krankgeschrieben – für den Zeitraum vom 02. bis 06. Mai 2022.
  4. Die Krankschreibung wurde mit AU-Folgebescheinigungen am 06. und 20. Mai bis zum 31. Mai 2022 weiter verlängert.
  5. Somit war der Mitarbeiter während der gesamten Kündigungsfrist bis zu deren Ende krankgeschrieben.
  6. Am 01. Juni 2022 trat der Mitarbeiter eine neue Stelle an.
  7. Sein bisheriger Arbeitgeber bezweifelte, dass der Arbeitnehmer tatsächlich krank war und lehnte die Entgeltfortzahlung ab.
  8. Hiergegen klagte der ehemalige Mitarbeiter. Begründung: Die Arbeitsunfähigkeit habe bereits vor der Kündigung vorgelegen.

Das Bundesarbeitsgericht gibt teilweise recht

Der Fall ging durch zwei Instanzen, bis sich das BAG damit auseinandersetzte. Dieses gab dem Arbeitgeber im Urteil vom 13. Dezember 2023, 5 AZR 137/23 teilweise recht.

  • Nicht erschüttert ist der Beweiswert für die AU-Bescheinigung vom 02. Mai 2022, da der Mitarbeiter an diesem Tag noch keine Kenntnis von seiner Kündigung gehabt habe.
  • Teilweise erschüttert sei allerdings der Beweiswert der AU-Folgebescheinigungen vom 06. und 20. Mai 2022.

Begründung: Diese seien passgenau verlängert worden und stimmten exakt mit der Dauer der Kündigungsfrist überein.

Zudem habe der Arbeitnehmer unmittelbar nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses eine neue Beschäftigung aufgenommen. Den Arbeitnehmer treffe somit die volle Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit. Das BAG hat den Fall zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückverwiesen.

Frau im Office telefoniert
Unser Tipp: ein Arbeits- und Berufsrechtsschutz

Fazit: Das Vertrauen ist ungebrochen, aber…

Das BAG-Urteil bedeutet nicht, dass jede AU-Bescheinigung von nun an anzuzweifeln ist. Genau draufzuschauen ist aus betrieblicher Sicht allerdings erlaubt und in besonders dreisten Fällen auch sinnvoll.

Aus Perspektive der Mitarbeiter gesehen, gilt: Mit dem Vertrauen in die AU-Bescheinigung zu spielen öffnet Tür und Tor für Kritiker, die hinter jeder krankheitsbedingten Auszeit ein „Blaumachen“ durch den Mitarbeiter wittern.

#württgemacht Tipp: Um bei Streitigkeiten mit dem Arbeitgeber gerüstet zu sein, hilft ein Arbeits- und Berufsrechtsschutz.

Der Autor: Johannes Traub

Johannes Traub arbeitet seit Juni 2019 bei der Württembergischen Versicherung und kümmert sich um alles, was sich Content nennen darf. Mit seiner Erfahrung in den Bereichen Gesundheitsmanagement, Marketing sowie im Journalismus sorgt er dafür, dass die Inhalte der Württembergischen so viel klare Kante zeigen wie ihr Slogan.

Hier kann man den Betrieb verstehen: Der Fall ist auffällig dreist.

Johannes Traub, Redakteur Blog Württembergische

Johannes Traub

Redakteur württgemacht Blog

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